Kurioses aus der Rechtsprechung zur Förderung einer selbstständigen Tätigkeit mit Einstiegsgeld

Im Rahmen der Beratung von Kunden, die sich aus der Arbeitslosigkeit selbstständig machen wollen, kommt früher oder später die Frage nach Fördermöglichkeiten durch die Arbeitsagentur oder Jobcenter auf. Gerade die Förderung mit dem Einstiegsgeld (ESG) nach §16b SGB II sorgt immer wieder für Mißverständnisse bei einigen Kunden, da diese davon ausgehen, dass der Bedarfsträger, hier das Jobcenter, sie mit Einstiegsgeld fördern müsse. Legt man dem Kunden dar, dass dem nicht so sei und Einstiegsgeld eine so genannte KANN-Leistung ist, die nach Ermessensausübung durch den Bedarfsträger gewährt werden kann, endet die Beratung regelmäßig mit dem Satz: „Dann gehe ich halt zum Rechtsanwalt“. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden, doch diesen Schritt in Verbindung mit der Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit und der Durchsetzung eines vermeintlichen Anrechts auf Einstiegsgeld, kann man sich regelmäßig sparen. Der Kunde wäre in jedem Falle besser beraten, sich auf seine Gründungsidee und schlüssigen Marktzugang sowie Kundenakquise und Co zu konzentrieren, als einen aussichtslosen Rechtsstreit vom Zaun zu brechen.

Seit mehr als 10 Jahren verfolge ich im Rahmen meiner Arbeit als Berater für Gründer & Gründerinnen aus der Arbeitslosigkeit und als fachkundige Stelle mit mehreren Tausend Kunden die Thematik Förderung der selbstständigen Tätigkeit mit Einstiegsgeld durch die Jobcenter und recherchiere dazu in unregelmäßigen Abständen in der entsprechenden Rechtsprechung. Bis dato existiert meines Wissens kein Urteil, in dem es gelungen ist, Einstiegsgeld nach §16b SGB II zur Förderung einer selbstständigen Tätigkeit gegenüber dem Bedarfsträger auf dem Rechtswege durchzusetzen. Dabei gibt es immer wieder auch kuriose Vorhaben, die die Gerichte beschäftigen. Eines der aktuelleren, aus dem Jahre 2015, ist das folgende Urteil vom Landessozialgericht München, welches Einstiegsgeld nach §16b SGB II zur Förderung einer selbstständigen Tätigkeit zum Gegenstand der Auseinandersetzung hatte.

Kurzfassung:

Eine Kundin (Klägerin) des Jobcenters München beantragt Leistungen nach § 16b und c des SGB II zur Förderung der Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit als Astrologin (astrologische Beraterin, Referentin und Autorin). Dieser Antrag wird sowohl durch das Jobcenter, das Sozialgericht und in der zweiten Instanz durch das Landessozialgericht München abgelehnt (Revision nicht zugelassen), da weder die zeitnahe Reduzierung noch die vollständige Überwindung der Hilfebedürftigkeit durch die Selbstständigkeit prognostisch in einem angemessenen Zeitraum zu erwarten sei, ebenso aufgrund der fehlenden Qualifikation und da die Klägerin auch ohne Förderung die Selbstständigkeit ausüben könne.
Ob und inwieweit der Staat überhaupt eine Tätigkeit, die der „Konstellation von Himmelskörpern Bedeutung“ zumisst und im Wesentlichen im Aberglauben begründet liegt, fördern sollte, wurde nicht weiter vertieft, die Richter schreiben hierzu im Urteil jedoch: „Es spricht in diesem Bereich viel für eine Leistungsablehnung wegen Ermessensreduzierung auf Null.“

Langfassung:

Nach § 16b SGB II kann die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit mit einem Einstiegsgeld gefördert werden, sofern dies zur Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt erforderlich ist und, sofern davon auszugehen ist, dass mit der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit die Hilfebedürftigkeit (Leistungsbezug) entfällt.

Im Urteil des Landessozialgerichts München (vom 22.10.2015 AZ: L 7 AS 260/15), musste dieses entscheiden, ob das Urteil des Sozialgerichts München vom Januar 2015, welches mit seiner Entscheidung der Auffassung der Beklagten (Jobcenter) folgte und die Förderung der selbstständigen Tätigkeit der Klägerin als Astrologin ablehnte.

Dabei verwies das LSG noch einmal auf die amtlichen Förderleitsätze, bei der Entscheidung bzw. Ermessensausübung für oder gegen die Förderung der Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit:

  1. Eine selbstständige Tätigkeit kann mit Einstiegsgeld nach § 16b SGB II gefördert werden, wenn prognostisch zu erwarten ist, dass durch die Tätigkeit Einkommen erzielt wird, dass die Hilfebedürftigkeit nach SGB II überwunden wird.
  2. Die Hilfebedürftigkeit wird überwunden, wenn zumindest der Regelbedarf, die Kosten der Wohnung sowie eine Kranken- und Pflegeversicherung finanziert werden können.

Bei der durch die Klägerin angestrebten astrologischen Tätigkeit sahen die Richter der beiden Instanzen, diese beiden amtlichen Leitsätze nicht erfüllt, ebenso wie die Beklagte (Jobcenter). Diese hatte in ihrer Ablehnung der Förderung (Ermessensausübung) folgenden Hintergrund betont: „Erfahrungen der Vergangenheit hätten gezeigt, dass Dienstleistungen im alternativ heilenden/beratenden Bereich nur schwer verkäuflich seien. Wenn überhaupt, sei eine sehr lange Anlaufzeit erforderlich, um ausreichendes Einkommen zu erzielen. Eine Tragfähigkeit trete regelmäßig in einem angemessenen Zeitraum nicht ein.“ Weiterhin betonte das LSG die Notwendigkeit zur Prüfung der Umstände im Einzelfall. Hierbei sollen insbesondere die beabsichtigte Tätigkeit, die Entwicklungsmöglichkeiten, die Kompetenzen des Antragstellers und der in Frage kommende Markt samt Verdienstmöglichkeiten betrachtet werden. In einem anderen Urteil zum Einstiegsgeld wurde durch das Gericht ein öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für die Beurteilung betriebswirtschaftlicher Beratungsleistungen beauftragt, dieser prüfte den Businessplan nach qualitativen und quantitativen Kriterien, diese sind hier nachzulesen.

Sechs Tipps zur Erhöhung der Chancen einer Förderung mit Einstiegsgeld nach §16b zur  Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit:

  • Erfahrung / Qualifikation in der angestrebten Gründungsbranche
  • mindestens grundlegende kaufmännische Kenntnisse
  • aussagefähiger Businessplan (max. 6-8 Seiten Text zzgl. Finanzplanung, keine Vorlage im Internet kaufen, selbst verfasst, ggf. Beratung nutzen)
  • Start im Nebenerwerb (sofern möglich) = Bedarf und Nachfrage evaluieren, erste Kunden / Referenzen gewinnen (proof of concept)
  • realistische und nachvollziehbare Umsatzplanung
  • rechtzeitig mit dem Jobcenter / Bedarfsträger über die geplante Selbstständigkeit sprechen

„Am Ende muss ein Gründungsvorhaben aus der Arbeitslosigkeit aber auch immer ohne die Förderung mit Einstiegsgeld funktionieren, denn auch bei bester Planung, Beratung und Einhaltung aller Tipps und Hinweise aus dem Internet etc., ist und bleibt die Förderung eine Kann-Leistung!“

Quelle:
Sozialgericht München, Urteil vom 28.01.2015 – S 55 AS 3101/13
Bayer. LSG, Urteil vom 22.10.2015 – L 7 AS 260/15
http://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2015-N-73543
(abgerufen: 05.08.17 / 14:31Uhr)

Weitere Urteile zum §16b SGB II Einstiegsgeld:

Fachliche Weisungen §16b SGB II Einstiegsgeld vom 20.02.17

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